Kleines Liebeslied für die Erde

Alexis Ffrench – Canyons

Als ich an einem frühen Morgen mit Elsa durch ihren Wald ging, waren die Wipfel der Bäume in Nebel gehüllt. Es hatte die ganze Nacht über geregnet und klamm lag eine dichte Feuchte in der Luft. Wir kamen an eine kleine Lichtung, als Elsa plötzlich stehenblieb. „Hier an diesem Ort hatte ich einmal ein seltsames Erlebnis“, flüsterte sie mir zu. So blieb auch ich stehen und wartete gespannt, was meine Begleiterin mir wohl gleich erzählen werde. Und dann sagte Elsa: „Hier traf ich vor langer Zeit auf einen Mann, der am Klavier saß. Er spielte wunderschöne Melodien. Kein Vogel sang, alle hörten sie wie gebannt zu. In einer kurzen Pause trat ich zu ihm und fragte ihn, wer er sei und was er hier spiele. Daraufhin antwortete er mir: Ich bin der Geliebte von Mutter Erde und spiele für sie meine Liebeslieder.“

Dann schwieg Elsa und blickte sehnsüchtig zu den Baumwipfeln empor, die sich noch immer im Nebel versteckt hielten. Schließlich ging sie weiter und ich folgte ihr wortlos. Später, als wir wieder in ihrer Hütte bei wärmendem Kräutertee zusammensaßen, sprach sie die Begebenheit mit dem Klavierspieler nochmals an: „Wenn wir unseren Lebensweg gehen, sollten wir immer daran denken, dass irgendwo der Geliebte von Mutter Erde an seinem Klavier sitzt und Lebenslieder spielt. Jeden Moment könnten wir auf ihn treffen: in der U-Bahn, in der Fußgängerzone oder auch im Büro, im Schwimmbad, im Kinderzimmer, im Krankenhaus. Er muss nicht real da sein, aber du erkennst ihn am Schwingen deines Herzens, in dem auch ein Teil von Mutter Erdes Blut strömt. Er spielt auch für dich …“



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