Innen geheilt

 

Innen geheilt

Ein für seine Wutausbrüche und Aggressivität gefürchteter Mann erkrankte plötzlich schwer. Er suchte den Arzt auf, der ihn gründlich untersuchte und behandelte. Als die Beschwerden nicht besser wurden, begann der Mann dem Arzt lauthals Vorwürfe zu machen und ging zu einem anderen. Dieser wechselte die Therapie und verschrieb andere Medikamente. Doch die Krankheit schritt unaufhaltsam weiter. Da schrie der Mann auch diesen Arzt an und beschimpfte ihn als Stümper.

So ging er zu einer Ärztin in einer anderen Stadt. Nachdem diese ihn von Kopf bis Fuß untersucht hatte, unterbreitete sie dem Erkrankten, dass diese Krankheit eine besonders schwere sei und bisher nur sehr selten geheilt werden konnte. Trotzdem würde sie sich geehrt fühlen, als Therapeutin in den Dienst des Mannes treten zu dürfen. Die Verwunderung über diese Worte ließen in dem Kranken den aufkeimenden Zorn ersticken und er willigte in die Behandlung ein. Diese aber erwies sich als sehr außergewöhnlich.

Fast täglich saßen Patient und Ärztin zusammen, erzählten sich Geschichten, aßen und tranken, lachten und sangen. Und manchmal tanzten sie auch durch alle Räume der Praxis hindurch. Der Kranke ging jedes Mal mit einem Lächeln wieder nach Hause. Seine Familie wunderte sich über die Veränderungen, die in ihm abzulaufen schienen. Da waren keine zornigen Vorwürfe mehr, sondern der Wunsch nach stillem Zuhören. Da war kein rabiates Toben mehr, sondern der Wunsch nach dem zärtlichen Halten einer Hand. Da waren keine Wutausbrüche mehr, sondern der Wunsch nach einem seelentiefen Lachen.

So ging es viele Wochen. Die körperlichen Beschwerden des Mannes jedoch schritten unaufhaltsam voran. Eines Tages ließ er seine Ärztin ans Bett rufen. „Nun ist es so weit. Ich fühle das Ende nahen“, sagte er mit schwacher Stimme. Da traten der Ärztin Tränen in die Augen, und sie entgegnete mit gesenktem Haupt: „Es tut mir so leid. Ich konnte dich nicht dem Tode entreißen.“ „Macht nichts“, antwortete der vom Tod Gezeichnete lächelnd, „so sterbe ich doch wenigstens innerlich geheilt“. Kurz darauf schloss er für immer die Augen.

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