Eine Legende
Es war vor langer Zeit, da trug einer in zerrissenen Lumpen sein Kreuz einen Hang hinauf. Man hatte ihn mit einer Narrenkappe gekrönt und verlachte ihn. Manche Menschen aber standen stumm am Weg und schauten mitleidig auf den Geächteten. Da rief plötzlich einer aus der Menge: „Da seht, schaut auf den!“ Alle drehten sich um und sahen eine silbrig glänzende Karosse durch den Steppenrand rollen. Und als ein anderer anfing, „Hosianna“ zu rufen, stürmte die ganze Menge auf den sich nähernden Wagen, klatschte in die Hände, verneigte sich und tanzte. Jener aber, der mit langem grauem Brat und wallendem Haupthaar drinnen saß, faltete freudig lächelnd die Hände und segnete alle mit den Spitzen seiner Finger.
Der, der das Kreuz auf seinen Schultern trug, zerrte sich alleine weiter zum Gipfel des Hügels hinauf. Weder das Volk noch die Soldaten waren mehr bei ihm. Oben angekommen, legte er Kreuz und Kappe ab, setzte sich auf den steinigen Boden und wartete. Doch keiner wollte mehr etwas von ihm wissen. So saß er zwei Tage und zwei Nächte ungerührt da. Am Morgen des dritten Tages aber stand er auf, nahm das Kreuz wieder auf die Schultern und zog weiter. Wohin weiß keiner.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen