Fröhlicher Totentanz

 

Loslassen - Hergeben - Leben
Bild: Pixabay

Fröhlicher Totentanz

Wir gingen weiter. Um uns herum wurde es stiller. Nach und nach wandelte sich das Bild des Waldes. Zwischen dem dunklen Grün der Nadelbäume begann es goldgelb zu schimmern. Dann wichen die Tannen entlang unseres Weges auch schnell alten und mächtigen Kastanien, die in ihrem Herbstkleid leuchteten. Als wir uns ihnen näherten, kam es mir vor, als sei das Licht am Himmel über uns spürbar geringer geworden. So erschienen die welken Blätter jener Bäume schon bald düster in einem fast erdigen Braun. Dann kam ein kalter Wind auf, der die Baumkronen der Kastanien dumpf rauschen ließ. Der Weg war mit vielen abgefallenen Blättern übersät, die zu rascheln begannen, als wir durch sie hindurchschritten.

„Blätterfriedhof“, sagte Elsa, blieb stehen und zog mit ihrer rechten Fußspitze einen Halbkreis durch das Laub. Dann blickte sie hinauf in die Äste. „Schau, Wanderer, wie die, die noch oben sind, in ihrem braungelben Totenkleid tanzend zu uns herüberwinken.“ Auch ich war stehengeblieben und schaute nach oben, wo die Blätter im kühlen Wind hin- und herschaukelten. „Totentanz“, meinte Elsa wortkarg. Wir mochten wohl eine ganze Weile so dagestanden haben, den Blick schweigend nach oben gerichtet. „Hörst du, Wanderer“, durchbrach meine Begleiterin die kühle Stille, „hörst du, wie das Pfeifen des Windes dem Rauschen eines Donauwalzers gleicht und das Rascheln der Blätter wie fröhliches Gelächter klingt? Sie tanzen mit ihrem Tod. Und der Tod mit ihnen. Sie winken, sie tanzen, sie lachen und sie wissen: morgen vielleicht schon sind sie tot.“ Elsa sah mich wieder an und lächelte. „Was wohl wissen sie mehr als wir?“

Sie ging weiter. Ich folgte ihr mit etwas Abstand. Auf ihre Frage konnte ich keine rechte Antwort finden, außer, dass es wohl möglich sei, die Natur unterschiedlich zu betrachten. Vielleicht spreche die Natur zu einem, wenn man das, was um uns herum ist, mit anderen Augen sieht. So könne man wohl einiges lernen, sagte ich. „Gut. Sehr gut!“ Elsa krönte ihre lobenden Worte mit einem sanften und gütigen Lächeln. „Die Augen des Kopfes zeigen nur das eine Bild, jene des Herzens das andere. Du lernst.“ Elsa behielt ihr Lächeln und fasste mich am Arm.

„Der Kopf sagt uns, dass die Blätter kurz vor dem Abfallen sind. Bald werden sie sterben und liegen vertrocknet auf dem Waldboden. Was sieht er, wenn er die im Wind hin- und hertanzenden Blätter betrachtet? Einen traurigen Totentanz. Ist das aber traurig, was du da oben in den Baumkronen sehen und hören kannst?“ Nein, traurig war das nun wirklich nicht. Es hörte sich in der Tat wie ein fröhliches Lachen an. „Siehst du“, fuhr Elsa fort, ohne auf eine Antwort zu warten. „Wir beide haben mit den Augen des Herzens in die Bäume geblickt, nicht mit jenen des Kopfes. Was wohl lehrt uns das?“ Die kleine Frau blieb stehen und schaute mir freundlich in die Augen. Da musste auch ich lächeln, zog die Augenbrauen hoch, legte den Kopf in den Nacken und blickte nochmals empor in die Wipfel der Bäume. Mir war es eigentümlich friedlich ums Herz. Und ich antwortete, dass es selbst im Angesicht des Todes möglich sein kann, dem Leben dankbar zuzulächeln. Elsas Augen bekamen einen liebevollen Glanz. Fast hatte ich den Eindruck, es stiegen in ihnen winzige Tränen der Rührung auf. Sie senkte den Blick und nickte. „Lächeln, ja, Wanderer. Lächeln, das ist es. Wo bleibt Platz für die Angst, wenn wir lächeln?“

Da hörte ich plötzlich jemanden singen. Die Stimme kam von oben, und ich schaute wieder hinauf in die goldgelben Blätter und hörte genau hin:  



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