Lasten und Lächeln
Vom Tragen einer schweren Last
Elsas
Hütte lag nicht weit von einem Waldweg entfernt. Auf ihm waren immer wieder
Wanderer unterwegs. Als wir an diesem Sommermorgen auf der Bank vor der Hütte
saßen, begegneten uns einige von ihnen: Frauen und Männer, manchmal auch
Kinder. Manche schauten zu uns hinüber und grüßten freundlich. Nicht wenige aber
gingen schweren Schrittes gebeugt und hatten beim Gehen den Blick zum Boden
gesenkt. Als wieder eine Frau mit großem Rucksack und fast keuchendem Atem an
uns vorübergegangen und in den Tannen verschwunden war, sagte Elsa: „Es ist
schon traurig, wie das Gehen vielen Menschen doch so große Mühe macht, dass sie
die heilsame Schönheit entlang ihres Weges nicht sehen können.“ Dann drehte
sich Elsa zu mir und fragte mit großen Augen: „Habe ich dir eigentlich schon
die Geschichte von der Harfe erzählt?“ Ich verneinte und lächelte zurück. Dann
legte meine Freundin ihre gefalteten Hände in den Schoß und lehnte sich zurück.
„Es
ist schon einige Jahre her, da waren sehr viele Menschen in meinem Wald
unterwegs. Schwer bepackt gingen sie diesen Weg entlang. Wie bei dieser Frau
eben war die Last förmlich spürbar, die sie zu tragen hatten. Niemand sah zu
mir hinüber, alle schauten nur auf den steinigen Weg unter ihren Füßen. Da habe
ich meine Harfe aus der Hütte geholt und mich an den Weg gesetzt. Ich hatte
eine Schüssel mitgenommen und ein Stück Karton, auf das ich geschrieben hatte:
Eine Spende für die Traurigen der Welt. Und dann begann ich zu spielen. Und
alsbald kam der nächste Wanderer. Als er mich erreichte, blieb er stehen, hörte
mir zu, las, legte den Rucksack ab und kramte aus seinem Geldbeutel ein paar
Münzen. Hellklingend fielen sie in die Schüssel. Dann nahm er seinen Rucksack
wieder auf und ging mit einem Lächeln weiter. Du wirst es kaum glauben: Bei den
nächsten Wanderern war es nicht anders. Alle blieben stehen und füllten mir die
Schüssel mit ihren Münzen. Und alle gingen lächelnd weiter. Ist das nicht
schön?“
Ich
war gerührt. Wohl sei es eine sehr berührende Musik gewesen, die sie damals auf
ihrer Harfe gespielt habe, entgegnete ich Elsa nach einer Weile. „Mag sein“,
antworte mir die alte Frau. „Aber es lag nicht nur an der schönen Melodie. Es
war die Bitte um eine Spende, die die Menschen letztlich lächeln ließ. Ihr
Rucksack war leichter, als sie weitergingen. Nicht der wenigen Münzen wegen,
des Hergebens wegen, des Schenkens.“
Dann schloss Elsa die Augen und schwieg. Wie so oft bei ihren Geschichten ließ die Erzählung einen freien Raum zum Weiterdenken. So trug ich das Gehörte mit nach Hause. Und als ich später in meinem Garten saß und Elsas Worte in mir nachschwingen ließ, trug mir der milde Abendwind Gedanken zu, die sich in meinem Herzen zu einer Botschaft formten …
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